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Roter.Teufel

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DFB-Torhüterin Ann-Katrin Berger:
Ich fragte den Arzt: „Werde ich sterben?“


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Deutschlands Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger (35) erkrankte 2017 und 2022 an Schilddrüsenkrebs. Nun erscheint ihr Buch: „Das Spiel meines Lebens. Wie ich den Krebs besiegte und Deutschlands beste Torhüterin wurde“. BILD druckt vorab exklusive Auszüge daraus.

Ups. Beim Abtrocknen hatte ich nicht an den Knubbel an meinem Hals gedacht und war mit dem Frottee kurz daran hängengeblieben wie an einem Bremshügel. Seit einigen Wochen war ein Lymphknoten in meinem Nacken hartnäckig geschwollen. Wahrscheinlich ein Überbleibsel meiner Erkältung.

★★★

Als wir das Arztzimmer betraten, erhob sich der Doktor und kam um seinen Schreibtisch herum, um uns zu begrüßen. Seine Augen durchbohrten mich förmlich, als er meine Hand kurz, aber bestimmt drückte. Er hatte etwas zu sagen, das ich nicht hören wollte, das wurde mir in diesem Augenblick kristallklar.

Erst als wir vor dem Schreibtisch Platz genommen hatten, bemerkte ich, dass noch eine Frau im Raum war, die ich nicht zuordnen konnte. Sie hatte ein freundliches Gesicht, und zuerst dachte ich, sie sei da, um die kühle, direkte Art des Arztes etwas auszugleichen. „Good cop, bad cop.“ Doch sie stellte sich als psychologische Unterstützung vor und überreichte mir ihre Visitenkarte mit den Worten: „Call any time – rufen Sie jederzeit an.“

Ich überlegte noch, warum ich psychologische Unterstützung brauchen sollte, während der Physio neben mir schon bleich geworden war. Er ahnte wohl auch, dass die Diagnose keine harmlose sein würde. Der Arzt nahm sich Zeit, rückte seinen Stuhl zurecht, legte die Unterarme auf den Schreibtisch und sah mich an wie ein Schulrektor, der einem gleich erklärt, dass die Versetzung gefährdet sei. Am liebsten wäre ich einfach wieder gegangen. Was sollte das Theater?

Endlich räusperte er sich, und anders als sein umständliches Gehabe vorher, teilte er mir nun ganz ohne Umschweife, Einleitung oder Verharmlosungen mit: „Miss Berger, I am afraid to tell you that you’ve got thyroid cancer.“

Der Physio neben mir schluchzte auf. Bei mir rauschte nur das Blut zwischen den Ohren. Zwar hatte ich „cancer“ verstanden, Krebs, und kurz wurde mir schwarz vor Augen. Aber was war „thyroid“? Bis dato hatte es für mich Blutkrebs, Hautkrebs und Brustkrebs gegeben. Mehr nicht. Ich schielte hilfesuchend zu meinem Begleiter hinüber und hoffte auf eine Erklärung, aber der rang noch darum, seine Fassung wiederzuerlangen. Es dauerte eine Weile, bis er mir mit Händen und Füßen verständlich machen konnte, dass ich Schilddrüsenkrebs hatte – und was dieses Organ überhaupt machte. Er klopfte sich auf den Hals, sagte: „This organ, Ann, it looks like a butterfly and produces hormones“, bis ich schließlich verstand, was er meinte.

Nie hatte ich mir Gedanken gemacht, wie ich auf eine potenziell lebensbedrohliche Diagnose reagieren würde, weil ich nie in Erwägung gezogen hatte, sie einmal zu bekommen. Ich war jung, Mitte 20, da dachte man nicht übers Sterben nach. Wenn ich es jedoch getan hätte, wäre ich davon ausgegangen, dass es mir erst einmal den Boden unter den Füßen wegzieht, wenn ich es erfahre; dass ich erst mal gar nicht klar denken kann. Nun aber, wo der für mich so abwegige Fall eingetreten war, waren meine Gedanken erstaunlich klar.

Sofort schob sich eine Frage nach vorn, die sich mit aller Macht aus meinem Mund presste: „Werde ich sterben?“

Der Arzt sah mich ernst an und antwortete: „Die Heilungschancen liegen bei 71 Prozent. Das ist hoch für eine Krebserkrankung.“

Es mag seltsam klingen, aber mit dieser Information – „wahrscheinlich nicht tödlich“ – hakte meine Psyche ein Kästchen ab und meine Verunsicherung legte sich. Es wäre gelogen, zu behaupten, ich hätte mich gut gefühlt. Das tat ich nicht. Aber es brach auch nicht alles in mir zusammen.

„Heute ist Nikolaus.“ Das war mein erster Gedanke, als ich am Tag nach der Operation in meinem Krankenzimmer aufwachte. Fünfeinhalb Stunden hatten die Ärzte gestern operiert. Der Eingriff war gut verlaufen, hatte man mir gesagt (...)

Ich war es gewohnt, meinen Körper unter Kontrolle zu haben – und das hatte ich nun zum ersten Mal in meinem Leben nicht. Das kannte ich nicht. Und es gefiel mir ganz und gar nicht. Richtig erschrocken war ich allerdings, als ich ein paar Tage später wieder aufstehen durfte und mich auf der Toilette beim Händewaschen das erste Mal im Spiegel erblickte. Ich sah aus wie Frankenstein! Eine lange rote Narbe zog sich von meinem Nacken über die rechte Seite meines Halses bis nach vorn zum Schlüsselbein. Die Haut um sie herum war blau, gelb und grün von Blutergüssen, da klebten getrocknete Blutreste, die Nahtstiche waren deutlich zu erkennen, und ein Schlauch steckte auch noch in meinem Hals. Es war gruselig – und kurz wurde mir so schwummerig, dass ich mich auf das Waschbecken stützen musste. Die Realität, dass das hier eine ernste Angelegenheit war, traf mich in diesem Moment heftig.

Als mir klar wurde, dass diese Narbe für immer da sein würde, dass sie für immer sichtbar sein würde, erfüllte mich mit einer so heftigen Trauer, dass ich mich auf den Toilettendeckel sinken ließ und mein Gesicht in den Händen verbarg. Ich war in meinem bisherigen Leben schon viel gewesen: Ann-Katrin, das Mädchen in der Jungen-Mannschaft. Ann-Katrin, die mäßig erfolgreiche Schülerin. Ann-Katrin from Germany.

Ab jetzt würde ich „die mit der Narbe am Hals“ sein. Und noch lange, nachdem ich wieder gesund war und regulär spielte, hatte ich das Gefühl, dass alle diese Narbe anstarrten. Auch ich stand oft zu Hause vor dem Spiegel, musterte sie und dachte darüber nach, was ich da eigentlich hatte mitmachen müssen. Doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an den roten Striemen; ich mag ihn inzwischen sogar ein bisschen, weil er mich daran erinnert, dass alles ganz schnell vorbei sein kann.

Heute sitzt über der Narbe im Nacken ein Tattoo. Es ist ein längliches, schwarzes Symbol. Eine Zeichenkette, die bedeutet: „Alles, was wir haben, ist jetzt.“

Jetzt stand ich da und hatte Krebs. Zum zweiten Mal. Das war kein schönes Gefühl. Tiefe Enttäuschung stieg in mir hoch. Das war nicht gerecht, ich hatte seit der ersten Therapie keinen Alkohol getrunken, wenig Zucker und Salz gegessen, viel geschlafen und auf genügend Regeneration geachtet.

Ich hatte auf mich aufgepasst, alles richtig gemacht und trotzdem war der Tumor wieder da. Was für eine Scheiße!

Tatsächlich betrachtete ich den Krebs mittlerweile als etwas Natürliches, das leider zu meinem Leben gehörte. Für eine Krankheit muss man sich nicht schämen, auch wenn ich immer wieder Menschen treffe, die das tun. Der Krebs zog mich nicht runter. Zumindest nicht so, wie es die meisten Leute vermuten, wenn sie meine Krankengeschichte hören. Für mich hat es sich auch nie wie ein Kampf angefühlt. Ich akzeptierte den Krebs, der mir ans Leben wollte, so, wie ich akzeptiere, dass da Gegnerinnen auf dem Platz stehen, die mir einen Ball ins Tor kicken wollen. Dass mir nicht gefällt, was sie tun, ist nicht ihre Schuld. Sie machen, wofür sie da sind – obwohl mir gegnerische Tore dann doch lieber sind als entartete Krebszellen. In beiden Fällen aber liegt es an mir, überlegt mit der Situation umzugehen und zu verhindern, dass sie mit ihrem Vorhaben erfolgreich sind. Das gelingt mir besser, wenn ich mich nicht vor ihnen hertreiben lasse, weder von den Gegnerinnen noch vom Krebs, sondern ruhig bleibe und mir anschaue, wo ich am effektivsten ansetze.

Unangenehmer als die festen Lymphknoten und nicht so einfach per Tablette zu beseitigen, waren jedoch die Geräusche aus dem Nachbarzimmer. Dort war ein junges Mädchen untergebracht, das die Therapie überhaupt nicht vertrug. Regelmäßig war ein Würgen zu hören, wenn sie sich übergab, dazwischen immer wieder Wimmern und Stöhnen. Sie schien sehr zu leiden. Anfangs fand ich es schwer, das zu hören. Doch mit der Zeit änderte ich meine Wahrnehmung davon, meine Einstellung dazu. Jedes Mal, wenn ich etwas aus ihrem Raum hörte, schloss ich die Augen und sagte mir: „Anne, dir geht es eigentlich gar nicht so schlecht. Dir geht es gar nicht so schlecht.“

Und das hat mir unheimlich geholfen, die Müdigkeit und die Kieferschmerzen hinzunehmen.

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