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- Out 5, 2021
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Naturismus in Luxemburg
Wo gesellschaftliche Unterschiede mit der Kleidung verschwinden
Unweit von Luxemburg-Stadt liegt ein versteckter Ruhepol, in dem Kleidung keine Rolle spielt – Respekt dafür umso mehr. Das Tageblatt hat den Tag der offenen Tür von „Sports et loisirs naturistes Luxembourg“ besucht.
„Da es aussieht, als werde das Wetter zu kalt, um sich auszuziehen, können Sie unser Grundstück auch mit Kleidern besichtigen“, heißt es in der E-Mail von „Sports et loisirs naturistes Luxembourg“ (SLNL). Der einzige Luxemburger Naturistenverein feiert Tag der offenen Tür – und hat das Tageblatt eingeladen. Aber ob die Hüllen fallen, entscheidet das Wetter.
Das Grundstück von SLNL ist ein geheimer Ort. Er liegt etwa zehn Autominuten von Luxemburg-Stadt entfernt, inmitten von strahlend grüner Natur und zwitschernden Vögeln. Wo genau? Das wissen nur Eingeweihte. Um Unbefugte auf Distanz zu halten, kennen nur Mitglieder die genauen Koordinaten. Wer am Tag der offenen Tür Naturistenluft schnuppern will, muss sich vorab melden – und bekommt dann erst einen Treffpunkt mitgeteilt, wo er sich mit einem Vereinsmitglied trifft. Erst hier bekommt er die finale Wegbeschreibung.
Dann geht es weiter, an einem leicht zu übersehenden Abzweig auf einen holprigen Waldweg. Links und rechts hängen Äste und Zweige über den kleinen Pfad. Regenperlen tropfen auf die Windschutzscheibe. Am Ende der Strecke öffnet sich der Wald plötzlich. Es gibt einen Parkplatz. Und eine große, ebene Wiese, auf der ein hölzernes Chalet steht. Aus diesem kommt Armand Ceolin, Sekretär und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei SLNL.
„Die Kleider lassen wir normalerweise direkt im Auto“, sagt Ceolin. Umkleidekabinen gibt es nicht. Aber der Regen zeigt sich an diesem Tag erbarmungslos. Auch die Temperaturen lassen für einen unverhüllten Nachmittag zu wünschen übrig. Deshalb bleiben die Textilien an – bei fast allen Anwesenden, von denen bei diesem tristen Himmelsbild nur wenige den Weg zum Naturistengelände gefunden haben. Nur ein jüngerer Mann trotzt dem kühlen Nass – und steht unbekleidet vor dem Chalet. Zumindest zeitweise – kurze Zeit später trägt auch er eine Jacke.
Mitglieder pflegen das Gelände ehrenamtlich
Die Visite startet mit einer Geländebesichtigung. Das Chalet dient auch als Clubhaus der Naturisten. Ceolin erzählt über die Anfänge: Gegründet wurde SLNL 1980. Sieben Jahre später folgte der Kauf der unteren zwei Hektar des Grundstücks. Anfang der 90er kamen die oberen zwei Hektar hinzu. Was heute einer grünen Oase ähnelt, hat nicht immer so ausgesehen: Anfangs gab es hier kaum Pflanzen – stattdessen zierten Müll und Gerümpel die Fläche. Der Verein säuberte und bepflanzte das Areal. Heute ist es kaum wiederzuerkennen.
Eine Sauna und ein Schwimmbad – umrahmt von Natur – laden zum Entspannen ein. Auch sportliche Aktivitäten sind möglich: Volleyball, Bogenschießen, Tischtennis, Pétanque. Der Kinderspielplatz wird bald wieder aufgebaut. In einem kleinen Gemüsegarten wachsen Blumen und Salate. Nirgendwo liegt Papier oder Plastik herum. Auch Zigarettenkippen gibt es keine. „Wir legen großen Wert auf Sauberkeit“, sagt Ceolin. Angestellte gibt es nicht: Die Mitglieder kümmern sich um die Pflege des Grundstücks.
SLNL hat etwa 350 Mitglieder aus Luxemburg und den Nachbarländern. Die meisten davon sind Familien, sagt Ceolin. Willkommen ist jeder – die jüngsten Mitglieder sind jedoch um die 30. Jüngere Menschen finden den Erholungsort „zu ruhig“, sagt Ceolin. Nach oben hin gibt es keine Grenze: „Unser ältestes Mitglied ist weit über 80.“
Sexualität hat keinen Platz
Das Thema Sexualität hat im Naturismus keinen Platz. Wer auf dem SLNL-Gelände bei körperlicher Intimität erwischt wird, „wird sofort aus dem Club geworfen“, sagt Ceolin. Solche Vorfälle seien jedoch selten: „In mehr als 30 Jahren hatten wir drei Fälle, in denen wir Leute zurechtweisen mussten.“
In der Vorstellung vieler Menschen sei Naturismus gleichgestellt mit der Swingerszene, wie sie zum Beispiel auf dem französischen Cap d’Agde zu finden ist. „Das ist kein Naturismus, das ist Sextourismus“, sagt Ceolin. Naturismus sei dagegen „eine Lebensweise“. Auch zum Nudismus gibt es einen Unterschied. „Nudisten sind Menschen, die gerne ohne Kleider sind. Naturisten sind auch gerne ohne Kleider – aber zum Naturismus gehört auch eine gesunde Lebensweise.“ Man achtet zum Beispiel auf die Ernährung und verzichtet auf Alkohol und Tabak. Unter den SLNL-Mitgliedern sind sowohl Nudisten als auch Naturisten, sagt Ceolin.
Nacktheit schafft Gleichheit
Inzwischen hat der anhaltende Regen fast alle Freikörperfreunde ins Chalet getrieben. Einer von ihnen ist Paul. Der 35-jährige Luxemburger ist seit drei Jahren Mitglied bei SLNL. Sein erster Besuch kam durch die Einladung eines Freundes zustande. Das war seine erste Erfahrung in der Welt der Nacktkultur. „Es ist eine Befreiung“, sagt Paul. „Man kann seine Probleme vergessen und sich erholen.“ Für Paul fühlt sich die Zeit auf dem Gelände an wie ein Campingurlaub. „Es ist ein Paradies.“
Man sieht sich, aber niemand starrt
Sandra, Naturistin
Auch Sandra (48) ist seit drei Jahren bei SLNL. Ihre erste Erfahrung als Naturistin hat sie mit Freunden in Westfrankreich gemacht. „Ich habe mich sofort wohlgefühlt, Nacktheit stört mich nicht“, sagt die Französin. „Man ist zwar nackt, aber es gibt keine Scham. Man sieht sich, aber niemand starrt“. Und: „Niemand urteilt.“ Sie besucht das Gelände wegen der Ruhe – und der Menschen. „Es ist sehr familiär, wie ein Club unter Freunden.“ Es gibt „keine Gesellschaftsklassen.“ Mit der Kleidung fallen die Unterschiede zwischen den Menschen. „So lernt man auch Leute kennen, mit denen man in der textilen Welt vielleicht nie sprechen würde“, sagt Sandra.
Der Belgier Thierry praktiziert Naturismus zwar bereits seit Jahren – das SLNL-Gelände besucht er aber zum ersten Mal. Und erlebt direkt eine Überraschung: Am Treffpunkt wird er von einem ehemaligen Arbeitskollegen begrüßt. „Ich habe nie gewusst, dass er praktiziert“, sagt Thierry.
Seine ersten Erfahrungen als Naturist sammelte Thierry auf einem anderen Kontinent. „Das war mit etwa 35 im Urlaub in Amerika, am Miami Beach“, erzählt der 61-Jährige. Es war zwar nicht der Grund der Reise, aber die Gelegenheit hatte sich angeboten: „Ich wollte auf keinen Fall erkannt werden.“
Freiheit und Befreiung – diese Begriffe erwähnen die Naturisten immer wieder. Eine Befreiung von Druck und Zwängen, aber auch von Unterschieden und Urteilen. Ob arm oder reich, körperlich beeinträchtigt, mit Brustkrebsnarben oder Operationsmalen – all diese Dinge zählen hier nicht, sagen die Naturisten. Wie Armand Ceolin es ausdrückt: „Wenn jeder nackt ist, schaut man sich in die Augen. Das passiert automatisch.“
Tageblatt
Wo gesellschaftliche Unterschiede mit der Kleidung verschwinden

Unweit von Luxemburg-Stadt liegt ein versteckter Ruhepol, in dem Kleidung keine Rolle spielt – Respekt dafür umso mehr. Das Tageblatt hat den Tag der offenen Tür von „Sports et loisirs naturistes Luxembourg“ besucht.
„Da es aussieht, als werde das Wetter zu kalt, um sich auszuziehen, können Sie unser Grundstück auch mit Kleidern besichtigen“, heißt es in der E-Mail von „Sports et loisirs naturistes Luxembourg“ (SLNL). Der einzige Luxemburger Naturistenverein feiert Tag der offenen Tür – und hat das Tageblatt eingeladen. Aber ob die Hüllen fallen, entscheidet das Wetter.
Das Grundstück von SLNL ist ein geheimer Ort. Er liegt etwa zehn Autominuten von Luxemburg-Stadt entfernt, inmitten von strahlend grüner Natur und zwitschernden Vögeln. Wo genau? Das wissen nur Eingeweihte. Um Unbefugte auf Distanz zu halten, kennen nur Mitglieder die genauen Koordinaten. Wer am Tag der offenen Tür Naturistenluft schnuppern will, muss sich vorab melden – und bekommt dann erst einen Treffpunkt mitgeteilt, wo er sich mit einem Vereinsmitglied trifft. Erst hier bekommt er die finale Wegbeschreibung.
Dann geht es weiter, an einem leicht zu übersehenden Abzweig auf einen holprigen Waldweg. Links und rechts hängen Äste und Zweige über den kleinen Pfad. Regenperlen tropfen auf die Windschutzscheibe. Am Ende der Strecke öffnet sich der Wald plötzlich. Es gibt einen Parkplatz. Und eine große, ebene Wiese, auf der ein hölzernes Chalet steht. Aus diesem kommt Armand Ceolin, Sekretär und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei SLNL.
„Die Kleider lassen wir normalerweise direkt im Auto“, sagt Ceolin. Umkleidekabinen gibt es nicht. Aber der Regen zeigt sich an diesem Tag erbarmungslos. Auch die Temperaturen lassen für einen unverhüllten Nachmittag zu wünschen übrig. Deshalb bleiben die Textilien an – bei fast allen Anwesenden, von denen bei diesem tristen Himmelsbild nur wenige den Weg zum Naturistengelände gefunden haben. Nur ein jüngerer Mann trotzt dem kühlen Nass – und steht unbekleidet vor dem Chalet. Zumindest zeitweise – kurze Zeit später trägt auch er eine Jacke.
Mitglieder pflegen das Gelände ehrenamtlich
Die Visite startet mit einer Geländebesichtigung. Das Chalet dient auch als Clubhaus der Naturisten. Ceolin erzählt über die Anfänge: Gegründet wurde SLNL 1980. Sieben Jahre später folgte der Kauf der unteren zwei Hektar des Grundstücks. Anfang der 90er kamen die oberen zwei Hektar hinzu. Was heute einer grünen Oase ähnelt, hat nicht immer so ausgesehen: Anfangs gab es hier kaum Pflanzen – stattdessen zierten Müll und Gerümpel die Fläche. Der Verein säuberte und bepflanzte das Areal. Heute ist es kaum wiederzuerkennen.
Eine Sauna und ein Schwimmbad – umrahmt von Natur – laden zum Entspannen ein. Auch sportliche Aktivitäten sind möglich: Volleyball, Bogenschießen, Tischtennis, Pétanque. Der Kinderspielplatz wird bald wieder aufgebaut. In einem kleinen Gemüsegarten wachsen Blumen und Salate. Nirgendwo liegt Papier oder Plastik herum. Auch Zigarettenkippen gibt es keine. „Wir legen großen Wert auf Sauberkeit“, sagt Ceolin. Angestellte gibt es nicht: Die Mitglieder kümmern sich um die Pflege des Grundstücks.
SLNL hat etwa 350 Mitglieder aus Luxemburg und den Nachbarländern. Die meisten davon sind Familien, sagt Ceolin. Willkommen ist jeder – die jüngsten Mitglieder sind jedoch um die 30. Jüngere Menschen finden den Erholungsort „zu ruhig“, sagt Ceolin. Nach oben hin gibt es keine Grenze: „Unser ältestes Mitglied ist weit über 80.“
Sexualität hat keinen Platz
Das Thema Sexualität hat im Naturismus keinen Platz. Wer auf dem SLNL-Gelände bei körperlicher Intimität erwischt wird, „wird sofort aus dem Club geworfen“, sagt Ceolin. Solche Vorfälle seien jedoch selten: „In mehr als 30 Jahren hatten wir drei Fälle, in denen wir Leute zurechtweisen mussten.“
In der Vorstellung vieler Menschen sei Naturismus gleichgestellt mit der Swingerszene, wie sie zum Beispiel auf dem französischen Cap d’Agde zu finden ist. „Das ist kein Naturismus, das ist Sextourismus“, sagt Ceolin. Naturismus sei dagegen „eine Lebensweise“. Auch zum Nudismus gibt es einen Unterschied. „Nudisten sind Menschen, die gerne ohne Kleider sind. Naturisten sind auch gerne ohne Kleider – aber zum Naturismus gehört auch eine gesunde Lebensweise.“ Man achtet zum Beispiel auf die Ernährung und verzichtet auf Alkohol und Tabak. Unter den SLNL-Mitgliedern sind sowohl Nudisten als auch Naturisten, sagt Ceolin.
Nacktheit schafft Gleichheit
Inzwischen hat der anhaltende Regen fast alle Freikörperfreunde ins Chalet getrieben. Einer von ihnen ist Paul. Der 35-jährige Luxemburger ist seit drei Jahren Mitglied bei SLNL. Sein erster Besuch kam durch die Einladung eines Freundes zustande. Das war seine erste Erfahrung in der Welt der Nacktkultur. „Es ist eine Befreiung“, sagt Paul. „Man kann seine Probleme vergessen und sich erholen.“ Für Paul fühlt sich die Zeit auf dem Gelände an wie ein Campingurlaub. „Es ist ein Paradies.“
Man sieht sich, aber niemand starrt
Sandra, Naturistin
Auch Sandra (48) ist seit drei Jahren bei SLNL. Ihre erste Erfahrung als Naturistin hat sie mit Freunden in Westfrankreich gemacht. „Ich habe mich sofort wohlgefühlt, Nacktheit stört mich nicht“, sagt die Französin. „Man ist zwar nackt, aber es gibt keine Scham. Man sieht sich, aber niemand starrt“. Und: „Niemand urteilt.“ Sie besucht das Gelände wegen der Ruhe – und der Menschen. „Es ist sehr familiär, wie ein Club unter Freunden.“ Es gibt „keine Gesellschaftsklassen.“ Mit der Kleidung fallen die Unterschiede zwischen den Menschen. „So lernt man auch Leute kennen, mit denen man in der textilen Welt vielleicht nie sprechen würde“, sagt Sandra.
Der Belgier Thierry praktiziert Naturismus zwar bereits seit Jahren – das SLNL-Gelände besucht er aber zum ersten Mal. Und erlebt direkt eine Überraschung: Am Treffpunkt wird er von einem ehemaligen Arbeitskollegen begrüßt. „Ich habe nie gewusst, dass er praktiziert“, sagt Thierry.
Seine ersten Erfahrungen als Naturist sammelte Thierry auf einem anderen Kontinent. „Das war mit etwa 35 im Urlaub in Amerika, am Miami Beach“, erzählt der 61-Jährige. Es war zwar nicht der Grund der Reise, aber die Gelegenheit hatte sich angeboten: „Ich wollte auf keinen Fall erkannt werden.“
Freiheit und Befreiung – diese Begriffe erwähnen die Naturisten immer wieder. Eine Befreiung von Druck und Zwängen, aber auch von Unterschieden und Urteilen. Ob arm oder reich, körperlich beeinträchtigt, mit Brustkrebsnarben oder Operationsmalen – all diese Dinge zählen hier nicht, sagen die Naturisten. Wie Armand Ceolin es ausdrückt: „Wenn jeder nackt ist, schaut man sich in die Augen. Das passiert automatisch.“
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